Germanen und Römer
Vielleicht waren die Wohnplätze aber auch länger besiedelt. Die wenigen Funde erlauben jedenfalls keine zeitliche Festlegung. Auch wenn die Siedlungen 50, 100 oder mehr Jahre bestanden, wenn es — was sehr wohl denkbar ist — noch weitere eisenzeitliche Siedlungen im Raume Sendenhorst gab. eine Siedlungskontinuität bis zum Jahre Null, bis Christi Geburt, ist nicht wahrscheinlich. Denn im Laufe der letzten vorchristlichen Jahrhunderte hatten sich die Umweltverhältnisse merklich verschlechtert. Es war unangenehm kühl geworden. Die Sommer waren feucht und regnerisch. Ohne Düngung gaben die kleinen Äcker innerhalb der öden Wildnis nichts her.
Ganz Nord- und Mitteleuropa spürte die Klimaverschlechterung. Deshalb wandenen in den letzten vorchristlichen Jahrhunderten viele Volksstämme aus dem unwirtlichen Norden in wärmere südliche Gefilde. Der Zug der Kimbern und Teutonen um 100 v. Chr. ging in die römische Geschichte ein. Auch das Münsterland wurde von der Abwanderungswelle erfaßt. Ungünstige Siedlungsstandorte mußten aufgegeben werden. Nur besonders gute Plätze blieben noch eine längere Zeit besiedelt. Solch ein günstiger Standort wurde 1971 in Albersloh an der Landstraße nach Sendenhorst in der Bauerschaft Alst, einen Kilometer vor der alten Gemeindegrenze zu Sendenhorst, entdeckt. Die Archäologen fanden Grubenhütten, Speichergebäude und fünf Pfostenhäuser mit zwei- und dreischiffig gegliedertem Innenraum. Die Siedelstelle überragt ihre Umgebung beinahe um zehn Meter und erweist sich damit als absolut hoch- und grundwasserfrei. In der Fachliteratur wird die Fundstelle unter dem Begriff »kaiserzeitlich« geführt.Sie ge‑
Freigelegter Grundriß eines kaiserzeitlichen Hauses an der Landstraße Sendenhorst - Albersloh (1971). Die weißen Holzleisten markieren die Standspuren der Pfosten.
17
die Regierungszeit der römischen Kaiser (Beginn etwa Christi Geburt)11. Einstweilen ist nicht bekannt, ob es im Gemeindegebiet Sendenhorst ähnlich günstige Siedlungsmöglichkeiten gab. Blieben das Sendenhorster Stadtgebiet und das spätere Kirchspiel mit seinen Bauerschaften siedlungsleer? Fragen, auf die wir bislang keine Antwort wissen.
Zurzeit Christi Geburt war das Münsterland fest in germanischer Hand. Zu dieser Zeit rückt der Raum für einige Jahrzehnte aus der Dämmerung archäologischer Mutmaßungen in das Licht der geschriebenen Geschichte. Von 27 vor bis 14 n. Chr., gut 40 Jahre lang, kämpfte die Weltmacht Rom gegen die unruhigen germanischen Kleinstämme zwischen Rhein und Elbe, die immer wieder beutelüstern den Frieden der wohlhabenden gallischen Provinzen links des Rheins störten. In einer planmäßigen Großaktion drangen römische Legionen von Mainz bis Xanten über den Rhein tief in das germanische Gebiet vor. Der römische Vorstoß führte im Süden des Sendenhorster Gebiets vorbei in Richtung Weser. Die Anwesenheit der Römer im Lande mußte sich auch auswirken auf die Siedlungen, die nicht unmittelbar im Aufmarschgebiet lagen. Die Römer sprachen ihr Recht. Sie legten Märkte an, führten ihre Verwaltung ein und verlangten von den Germanen Tributzahlungen. Im Jahre 9 n. Chr. organisierte der Cherusker Arminius einen gemeinsamen Aufstand germanischer Stämme. In der »Schlacht am Teutoburger Wald« vernichteten die germanischen Krieger drei römische Legionen, insgesamt 25.000 Mann. Die Schlacht war der Anfang vom Ende der römischen Herrschaft diesseits des Rheins 12).
Zu dieser Zeit wohnte der Stamm der Brukterer beiderseits der oberen Ems. Südlich der Ems bis hin zur Lippe, das heißt auch in der Region Sendenhorst, siedelten die »Bructeri minori«, die kleinen Brukterer. Die Brukterer waren die Hauptbeteiligten im Kampf gegen Statthalter Varus. Deshalb galt ihnen und ihrem Wohngebiet der Vergeltungszug des Germanicus, der sechs Jahre nach der Schlacht bis zum äußersten Winkel des Bruktererlandes vordrang und alle Siedlungen zwischen Ems und Lippe zerstörte. Die germanischen Erstbewohner unserer Heimat, die Brukterer, werden von den römischen Schriftstellern noch einige Male genannt. Im Lauf des ersten nachchristlichen Jahrhunderts erweiterten sie ihr Siedlungsgebiet nach Südwesten bis an den Rhein. 68 n. Chr. unterstützten sie die linksrheinischen Bataver bei einem Aufstand gegen die römische Herrschaft in Gallien. Einige Jahrzehnte später gerieten die Brukterer mit ihren germanischen Nachbarn, den Chamaven und Angrivariern, aneinander. Sie wurden besiegt, gaben ihre Wohnsitze im heutigen Kreis Warendorf auf und siedelten fortan südlich der Lippe. Am Vorabend der Sachsenkriege Karls des Großen, um 750, hieß das Land zwischen Lippe, Rhein und Ruhr der Gau »Borachtra«.