Die ältesten Orts- und Flurnamen
Wir wissen heute nicht mehr, wie der Raum Sendenhorst von den ersten bronze- oder eisenzeitlichen Siedlern rund 500 Jahre vor Christi Geburt genannt wurden, welchen Namen die beiden bisher bekannten Siedlungen hatten. Auch aus brukterischer Zeit, 500-600 Jahre später, ist kein Orts- oder Siedelname überliefert. Mit den abziehenden Stämmen verschwanden die Siedlungen und mit ihnen die Orts- und Siedlungsnamen. Dauerhafter hielten sich häufig Fluß- und Bachnamen. Auch bei Aufgabe von Siedlungen hafteten Gewässernamen im Gedächtnis von Nachbarn oder durchziehenden Stämmen. So hat sich im Osten des späteren Sendenhorster Gemeindegebiets ein Name erhalten, der nach Meinung der Sprachforschung in die vorgermanische Zeit zurückreichen soll: Das Werdener Güterverzeichnis um 880 nennt eine Hofesgruppe »Gesandron« (Geilern). Es handelt sich um eine sehr altertümliche Namensform. Schon der griechische Dichter Homer, der den Kampf um Troja und die Irrfahrten des Odysseus besang, nennt den kleinasiatischen Fluß »Maiandros«. Offensichtlich ist auch Gesandros, Gesandron ursprünglich ein Flußname gewesen, möglicherweise der alte Name der Angel 22).
Es ist unwahrscheinlich, daß alle durch die späteren Bauerschaftsnamen dokumentierten alten Siedlungen in die erste Zeit der sächsischen Landnahme zurückreichen. Der Landausbau erstreckte sich über mehrere Jahrhunderte, kam erst im hohen Mittelalter zu einem vorläufigen Abschluß. Von Norden oder Nordwesten kommend, besiedelten die sächsischen Bauern zunächst den Kiessandrücken und begründeten die Siedlungen Sendenhorst, Schörmel und Hardt. Ein oder zwei Generationen später, vielleicht sogar 100 bis 300 Jahre später, drangen sie weiter nach Norden und Süden vor und legten weitere Siedlungen an: Bracht, Elmenhorst, Jönsthövel, Sandfort. Die Namen der ersten Siedlungen, die sich vielfach im hohen Mittelalter zu Bauerschaften entwickelten, sind in den ältesten Einnahmeverzeichnissen der Klöster, in der »Werdener Urbare« von 880 bis 900 und in der Freckenhorster Heberolle von 1050 verzeichnet. Auffällig ist die starke Verwendung von Namen, die mit »Wald« in Verbindung stehen. Der Sendenhorster Raum muß also zu Beginn der Besiedlung dicht bewaldet gewesen sein.
Am südlichen Rand des Kiessandrückens legten die Sachsen eine Hofesgruppe an, die sie »Seondonhurst« nannten, so lautet jedenfalls die erste schriftliche Erwähnung um 900. Der Name zerfällt in ein Grundwort »Horst« und ein Bestimmungswort »Seondon« (Sinden, Senden, Zinden, Zenden). Das Grundwort »Horst« läßt sich ohne Schwierigkeiten deuten. Es kommt im Münsterland in vielen Orts-, Bauerschafts- oder Hofesnamen vor. Bis heute heißt ein Waldgebiet im Westen Hoetmars »Ketteler Horst« (nach der Familie von Ketteler, den ehemaligen Besitzern des Hauses Hoetmar). Ein »Horst« ist ein Gestrüppwald oder einfach ein »Wald«, oft in Höhenlage, jedenfalls kein undurchdringlicher Urwald, sondern ein lichter Laubwald, den Jäger durchreiten können. Nach anderer Lesart ist der Horst eine Stelle, wo ein Wald gestanden hat 23). Das Bestimmungswort »Senden« entzieht sich leider jeder einleuchtenden Erklärung, und wir tun gut daran, auf alle bisher angebotenen Deutungsversuche zu verzichten 24). Auf dem östlichen Ausläufer des Kiesrückens lag die Siedlung »Hardt« (1100 Harth), benannt nach einem Wald. Hart war ein weitverbreitetes Wort für Waldungen (vgl. Spessart = Spechtshart, Spechtswald). Der Name der kleinen Hofesgruppe »Bracht« (880 Braht) im Süden, auf dem Wege nach Ahlen, ist ebenfalls von einem alten Wort für Wald abgeleitet. »Elmenhorst« (880 Elmhurst), im Norden des heutigen Gemeindegebiets, enthält neben dem Grundwort »Horst« das Bestimmungswort Elm, auch Helm. Die Bezeichnung ist als Flur- und Gewässername in unserer Gegend nicht selten, sie steckt möglicherweise auch in dem Ortsnamen »Vorhelm«. Nach A. Schulte ist auf keinen Fall an »Ulme« zu denken, sondern an plattdeutsch »Eilm, Äilm« (Produkt eines Verwitterungsvorgangs auf Kleigrund, vor allem auf kalkigem Boden). Elmenhorst bedeutet also Wald auf verwittertem Kalkboden 25). Der Siedelname »Sandfort« (1100 Scandfort, richtiger wohl Seandfort) besteht aus den Wortteilen Sand und Furt = Durchgang, Weg. Über Sandfort lief ein frühmittelalterlicher Fernweg.
Im südlichen Gemeindegebiet, zur Ahlener Grenze hin, steigt das Gelände sanft und stetig bis auf ungefähr 100 m u. M. an. Eine Erhebung, ein Hügel heißt im Altsächsischen »huvil«, »huvila«. Zwei Hügel-Siedlungen sind bekannt. Wo heute der Ahlener Damm die alte Landwehr durchquert, bei den Kogge-Höfen, nennen die Werdener Urbare die Siedlung »Ramshövel« (880 Hramashuvila) = mit Lauch (Bärenklau) bewachsener Hügel (vgl. altengl. hramesa = wilder Knoblauch). Der Zufall wollte es, daß Ramshövel in den spätmittelalterlichen Steuerlisten nicht als Bauerschaft ausgewiesen wurde. Dadurch geriet der Name in den Hintergrund, wurde durch den Namen der Nachbarbauerschaft Bracht verdrängt und ist heute völlig vergessen. Erhalten hat sich dagegen der Name der Siedlung »Jönsthövel«. In Judinashuvila, am Hügel »Judina«, hatte Freckenhorst um 1100 abgabepflichtigen Besitz. Das Bestimmungswort entzieht sich leider einer Deutung. Natürliche Pflanzendecke. In der Mitte der von West nach Ost verlaufende Uppenberger Kiessandrücken (nach Otto Lukas, Planungsgrundlagen für den Landkreis Beckum 1955).
Aus den mittelalterlichen Einnahmeverzeichnissen lassen sich noch weitere eigenständige Siedlungen erschließen, die später nicht mehr vorkommen oder deren Name auf die Bezeichnung eines einzelnen Hofes beschränkt wurde. Das Sendenhorster Gebiet kennt drei -dorp-Namen. Diese Namensform soll in die Zeit der sächsischen Landnahme zurückgehen. Es soll sich um Einzelhöfe an alten Fernwegen handeln. Im ältesten Besitzverzeichnis von Überwasser finden wir den Hof »Kulsincthorpe«. Kolsendorp, Kössendrup war im Spätmittelalter eine Bauerschaft, dann ein Hofesname am Rande der Bauerschaft Brock. Die Hove »Schenctorpe« kommt noch im 15. Jahrhundert vor. Sie war ursprünglich ein selbständiger Siedlungskern zwischen Schörmel und Rinkhöven. Mit der Aufteilung der Schenctorper Ländereien auf Höfe in der Bauerschaft Rinchoven verschwand auch der Name. Ohne Zweifel war auch »Horstrup« (Horstorpe) ursprünglich ein eigenständiger Siedlungsname. Im Bestimmungswort steckt der »Horst«, der in Sendenhorst als Grundwort vorkommt. Sollte es sich um denselben Wald handeln? Die beiden Höfe der alten Siedlung, Schulte-Horstrup und Lütke-Horstrup, begegnen ab 1300 bzw. 1363. Das Schulzengut war Dienstmannslehen der Abtei Freckenhorst, das andere Gut kam an den Dreifaltigkeitsaltar an St. Ludgeri, Münster, war aber um 1770 auf einen Kamp zusammengeschrumpft. Die Bezeichnung des heutigen Industriegebiets »Schörmel« findet sich als »Scurilingis miri« (Schierlingssumpf) bereits in den Werdener Urbaren des 9. Jahrhunderts. Bis zum Ausgang des Mittelalters wurde »Schorlemer« als eigene Bauerschaft geführt, bis sie der Siedlung Rinkhöven zugeordnet wurde.
»Rinkhöven« war zunächst nur ein einzelner Hof, die Rinchove (1150). Erst später dehnte sich der Name auch auf die Höfe von Schörmel und Schenctorp aus. Der südliche Teil der Bauerschaft Bracht, zum Teil auf Sendenhorster, zum Teil auf Ahlener Gebiet, hieß bis in das 16. Jahrhundert »Hemme«. Sowohl das bischöfliche Lehngut »Wisch« als auch das Lehen »Stromberghove«, wahrscheinlich auch das Haus Hove in der Bauerschaft Borbein, lagen in der Bauerschaft Hemme. Erhalten hat sich die Flurbezeichnung »Hemmer Holt«. Zum Schluß noch ein Blick auf die Siedlung »Brock«, die nicht in die Gruppe der frühen sächsischen Höfe gehört. Das Brock war nach der Namensdeutung eine tiefliegende, von Brachwasser oder Lachen bildendem Wasser durchzogenen Fläche, ein Bruch. Das Brock war morastig und sumpfig. Eine Besiedlung erfolgte deshalb erst im hohen Mittelalter.