Über den Ausbau der Promenade - Über die Gräfte
Eine Bodenleiter schon konnte Brücke darüber sein. Und wer etwas gewandt auf den Beinen und im Kopfe nicht schwindelich war, der lief auf einer Stelle sogar über eine alte Wagendeichsel darüber hin oder hielt sich an einer Fitzbohnenstange fest, die halb im Morast stak. Dann bullerte es verdrießlich aus dem schwarzen Wasser ob dieser Geringschätzung. Im Sommer zog die Gräfte ein grünes Kleid an von feinblättrigen "Aanflott", und glitzernde Libellen schossen über dem Schilf hin, den barfüßige Jungen mit ihren Groschenmessern für die Prozession schnitten. Aber als mit der Zeit der Morast höher stand als das Wasser und im Sommer Moderdust und Mückenschwärme die Luft verdarben, da fuhr man Erde in die Gräfte", aber keinen Mutterboden von der Geist, sondern Mergel und Chausseedreck. Seitdem die Gräfte eingeebnet, wurde der Zustand gar noch schlimmer.
Die ehemaligen Festungsanlagen sollten nur noch landwirtschaftlichen Zwecken nutzbar gemacht werden. Im Sommer bot die Gräfte willkommene Spielplätze für die Zwecke der Jugendpflege, sie diente als Tummelplatz für muntere Zicklein und junge Ferkel. Eine Abwechslung erhielt das Bild durch die wohl- oder übelriechenden Dünger- und Misthaufen. Im Winter bot sie passende Abladestätten für Brenn- und Nutzholz, oder zu Runkel- und "Kartoffelkraut". Überall ein gar trostloser Anblick.
Jetzt will man mit einem Male der an der Gräfte zur vollen entfalteten Landwirtschaft den Garaus machen und die Gräfte in einen Park umwandeln, damit andre drin spazieren geht. So war die Begeisterung für die Promenade am Graben anfangs nicht sehr groß. Vom Volksgericht wurde zu Fastnacht 1914 die Bedürfnisfrage verneint und von den Richtern das Urteil darüber gefällt, daß die Promenade nicht nur kostspielig, überflüssig und zwecklos sei, sondern sogar hemmend auf die heimische Volkswohlfahrt wirken würde. Während unter diesen Gesichtspunkten das Projekt einseitig bekämpft wurde, wurde eifrig an der Verwirklichung des Planes gearbeitet.
Es wurden nicht die berechtigten Wünsche der Interessenten vergessen, um so nach Möglichkeit aller gerecht zu werden und der Allgemeinheit zu dienen. Der ursprüngliche Plan, der fast den ganzen städtischen Grundbesitz zur Promenadenanlage vorsah, wurde fallen gelassen. Man begnügte sich vielmehr mit einem etwa 8 Meter breiten Streifen, um den übrigen grösseren Teil den Anwohnern für geringes Entgelt als Eigentum zu überlassen. Diesen ist somit Gelegenheit geboten, den Grund und Boden zweckmässiger als bisher auszunutzen.Wie hat sich nicht der Graben, der nach den vier Himmelsrichtungen getauft ist, in den letzten Jahren aufgeputzt? Kanalisation und neues Pflaster legte die Stadt an. Durch Fleiß und Sparsamkeit und Schönheitssinn der Anwohner entstand ein förmlicher Wettstreit, um dem Heime ein freundliches Gesicht zu geben. Hier am Graben herrscht trotz einiger verfehlter Neuerungen, über die das Auge gern hinwegsieht, noch der alte Kleinstadtzauber. Nirgends langweilt sich das Auge an gerade Häuserfluchten. Überall die kleinen behaglichen Giebelhäuser und blumenbunte Fenster. Überall zeigt sich die auspägende Mischung von Handwerksfleiß und Ackerbau. Hier am Graben haben sich am längsten die breiten "Diälen" mit der "Niendör" gehalten. Da lehnt sich der Hausvater noch gern behaglich mit der Abendpfeife über die untere Tür hinaus, während durch den oberen Flügel die Hausschwalbe zwitschernd ein- und ausfliegt.
An der Hofseite schweift der Blick gern in das Grün der alten Wallgärten, die vielfach in ihrer lauschigen Abgeschlossenheit so recht zu dem reizvollen Bilde passen. aber nimmt man seinen Weg an der Gräfte, und schaut von hier in die Wallgärten, dann ist leider das Bild weniger reizvoll. Von hier schaut das Auge viele unansehnliche Hinterfronten, die zu ihren Schwestern an der Straße etwas stiefmütterlich behandelt sind. Hoffentlich wird man hier allmählich das Versäumte nachholen. Mit geringem Aufwand werden diese Schwächen mit der Zeit bald überwunden werden. Die Hofseiten der Häuser und die Hausgärten werden sich dann vorteilhaft der neuen Promenade anpassen.
Die Aufgabe, welche damit für die Anlieger der neuen Promenade entsteht, ist wahrlich keine geringe zu nennen, und ganz besonders den Besitzern der Grundstücke an der inneren Stadtseite möchten wir das Mahnwort zurufen: die Stadt hat ihre Schuldigkeit getan, tut Ihr die Eure! Wir erinnern an die vielen und erfreulichen Bemühungen um die Erhaltung und Wiedererweckung kleinstädtischer, ländlicher Schönheiten, die in Wort und Tat allenthalben weiteste Verbreitung gefunden haben und insbesondere auch in unserer engeren Heimat getätigt werden. Laßt uns gegen die stetig aus dem Südteile unserer Provinz vordringende Industrie mit ihren kalten, öden Landschaftsbildern einen Schutzwall errichten für die gute alte niedersächsische Landschönheit!
Möge ein jeder auf dem hinter seinem Hause gelegenen Garten auch in Zukunft seinen Kohl bauen, wenn er sich daneben nur etwas der schönen poesievollen Kinder der ländlichen Gartenflora, der Stockrosen, Nelken, Pfingstrosen, des Pholor, der Georgine und anderer erinnern wollte. Nur beileibe hier keine geschniegelten und aufgeputzten "Ziergärten" im Stile der großen Stadt! Nur keine "moderne Kunst", sondern die wiederauflebende Liebe unserer Großeltern für die schattige Laube von Jasmin und Jelängerjelieber und für sauber gezogene Hecken und freundliche schlichte Gartentörchen muß die Leiterin bei dem weiteren Ausbau der Promenade sein. Das wäre dann Heimatschutz und -Pflege in der wahrsten und edelsten Bedeutung.
Durch die Regulierung des Besitzes der zwischen der neuen Promenade und den Häusern der Stadtseite gelegenen Gartengrundstücke wird ja die alte bestehende Hecke notwendig in Wegfall kommen und muß durch eine neue schmuckere ersetzt werden, und zwar am vorteilhaftesten in der Weise, daß die Neuanlage möglichst mit gleichem Material und in ihrer Gesamtheit von einem Unternehmer ausgeführt würde, damit von vornherein die wünschenswerte Einheitlichkeit erzielt werden kann.
Der kommende Sommer, in dem sich der jetzt angepflanzte Teil des Promenadenweges zum ersten Male im Schmucke seines jungen Grünes zeigen soll, bietet reichlich Zeit, der Frage nach der weiteren Ausgestaltung näher zu treten, und die Stadtverwaltung ist gern bereit, mit geeigneten Vorschlägen und Zeichnungen für Gartentore und Einfriedigungsschmuck die Interessenten zu unterstützen.
Dabei möchten wir noch auf einen beinahe völlig in Vergessenheit geratenen Zweig der schönen Gartenkunst hinweisen, der leider bei uns in Deutschland seine Anhänger verloren zu haben scheint, dagegen in England wie auch in Frankreich zu hoher Blüte gekommen ist, das ist das Ausschneiden und Formen allerlei Tiergruppen auf der Hecke und das Überleiten der Hecke über die Törchen zum Eingangsbogen.
Mit dem Ausbau des ersten Viertels der Promenade in diesem Frühjahre und mit der nun hoffentlich auch allgemein einsetzenden Verschönerung der anliegenden Gärten ist die Entwicklung Sendenhorsts gewissermaßen auf eine neue Bahn geleitet worden, und Bürgerschaft wie Stadtverwaltung geben sich ein ehrendes Zeugnis mit den mannigfachen Neueinrichtungen und Verbesserungen in der letzten Zeit. Die wichtigste Frage für die weitere Verschönerung der Stadt dürfte sein, nun, nachdem zunächst eine wirkungsvolle Verbindung zwischen dem Bahnhofe und dem prächtigen Krankenhaus hergestellt ist, für eine würdige Überleitung vom Bahnhofe zur Stadt selbst Sorge zu tragen.
Da die jetzige Verbindungsstraße bereits mit Linden bepflanzt ist, so würde es angebracht sein, die Verlängerung der neuen Promenade nach dem jüdischen Friedehofe zu, wo geeignetes Gelände in grösserer Breitenabmessung zur Verfügung steht, nach dem Bahnhofe hin mit kleineren Zieranlagen auszuschmücken.
Die Bepflanzung des Promenadenweges selbst müsste zu den Linden in wirkungsvollen Kontrast treten, wozu sich die rotfrüchtige Eberesche mit ihrem zierlichen Blattwerk wohl am besten eignen würde; die Eberesche mit der Pracht ihrer roten Früchte wird als Alleebaum noch gar nicht genügend gewürdigt. Für die beiden Enden jeweils an den Toren kämen dann wieder zwei andere Bäume in Betracht, welche, wie das auch bei dem jetzt angepflanzten Teile mit dem Götterbaum Ailanthus gandulega durchgeführt ist, mit weit ausladenden Kronen eine mächtige Flankierung der Torstraßen bilden werden. In wenigen Jahren werden sich die jungen Bäumchen zu einer prächtigen Allee vereinigen und mit nicht geringem Teile dazu mitwirken, wenn die Stadt, die sie mit ihrem schattenspenden, blütenreichen Ringe umgeben, immer grösser Würdigung und Beliebtheit auch bei weiteren Kreisen genießen wird.