Schnadegang – Grenzbegehungen in alten und neuen Zeiten
Schnadegänge – Woher kommt das?
In alten Zeiten, lange vor der Einführung der Landvermessung und GPS, mussten Grenzen im Rahmen des damals möglichen, möglichst genau definiert werden, um Eigentum- und Zugehörigkeitsfragen zu klären, bzw. Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. Dazu wurden an den Grenzen Grenzsteine gesetzt, z.B. an Stellen in der Landschaft, an denen es keine natürlichen Grenzen gab. Dies geschah auf sogenannten Schnadegängen.
Neben natürlichen Grenzen, wie z.B. Bächen, dienten bis zum 17. Jhdt eigens zur Markierung gepflanzte Bäume, in die man mit der Axt ein Kreuz hineinschlug, dann ging man zur Verwendung von Grenzsteinen über.
Anfangs fand eine amtliche Grenzbegehung statt, die dann alle ein oder zwei Jahre wiederholt wurde und mit der Zeit zu einem Volksfest mit teilweise bis zu mehreren 10.000 Besuchern wurde, so in vielen Orten des Münsterlandes und im Sauerland. In Neuenrade (Märkischer Kreis) ist ein Schnadegang von 1450 schriftlich überliefert, in Sendenhorst ist die Schnadjagd von 1756 überliefert, deren Weg sich noch heute genau nachverfolgen lässt. Sendenhorst und das Fürstbistum Münster wurden nach dem Ende Napoleons 1815 endgültig preußisch. 1817 verfügten die Preußen, dass die Schnadegänge nicht mehr nötig seien und somit gerieten die Schnadegänge in Vergessenheit.
Vielerorts wurde und wird der Schnadegang zum Anlass genommen, Neubürger der Stadt zu „poaläsen“. Dabei wird der zu „Poaläsende“ von einigen Schnadgängern („Schnadloipers“) angehoben und über einen Grenzstein gehalten. Dann wird sein Hinterteil („Ääs“) auf den Stein („Poal“) mehrmals aufgetitscht. Damit soll dem Neubürger der Standort des Grenzsteins nachhaltig bewusst gemacht werden. Gepoaläste Gemeindemitglieder werden „Poalbürger“ (Alteingesessene) genannt. Der Gepoaläste revanchiert sich für die Aufnahme in die Gemeinde mit einer Getränkespende am nächstgelegenen Rastplatz des Schnadegangs.In neuerer Zeit hat sich der Begriff Poahlbürger für „lang vor Ort ansässige Bürger“ durchgesetzt. Nach der Definition sind aber gerade die Poahlbürger ja Zugezogene.
Die Sendenhorster Schnadjagd von 1750
Es gab aber auch sog. Schnadjagden, wie sie aus dem Jahre 1756 in Sendenhorst protokolliert ist: Es schreibt der Stadtnotar Dufhues:
Anno 1765, am Dienstag, den 12. November vormittags 8 Uhr, erschienen vor mir, Notar, und Zeugen persönlich auf dem Rathaus in Sendenhorst die Bürgermeister der Stadt Sendenhorst, die ehrbaren Herren BERND DIETRICH BONSE und JOHANN DIETRICH FYE und gaben an:
Seit undenklichen Jahren ist die Bürgerschaft in Sendenhorst berechtigt, mit klingendem Horn und losgekoppelten Jagdhunden rings um Sendenhorst zu jagen. Um den Besitz ihrer Jagdgerechtigkeit zu wahren und die Schnadjagd von 1736 zu erneuern, hätten sie die gesamte Bürgerschaft durch die Pförtner zur Jagd einladen lassen.
Es folgt eine Liste Namen, die zum Teil auch noch heute in Sendenhorst zu finden sind.
Insgesamt waren 34 Bürger bzw. Bürgersöhne auf dem Rathaus zugegen.
…
Mit klingendem Horn wurde der Anfang gemacht.
Der Jäger nahm also mit allen 'beteiligten Bürgern seinen Weg vom Rathaus
über den Markt, durch die Südstraße, dann durch die Südpforte, längs dem Bohlweg über das Gefrecht im Himmelreich, über den Grünen Weg, entlang der Stadtsheggen [Stadtlandwehr] bis an den Kirchspielshagen - den ganzen Weg mit gekoppelten Hunden. Hier wurden die Hunde losgelassen. Sofort spürten sie in Meys Busch einen Hasen auf und setzten ihm nach. ERNST BROICKMANN erschoß ihn. Auf dem Wiescher Spitalkamp, am Pferdekamp wurde das gehörige Recht mit klingendem Horn kundgetan. Danach jagten die Hunde im Hemmer Holz einen Hasen auf, verfolgten ihn und trieben ihn in den Wiescher großen Nachtkamp. Beim Lüttken Nachtkamp wurde er von dem jungen Gesellen CASPAR STAMKORTE geschossen und totgeblasen. Von dort begab sich die ganze Gesellschaft mit ihren Gewehren an die Becke des zum hochadligen Haus Hove gehörigen Kuhkamps. JOAN HINRICH AHAGE und JOAN BERNDT SCHMIDTKAMP schossen in den Schlagbaum über der Brücken die Zeichen …
Am 2. / 3. / 4. Tag der Jagd geht es weiter, der Weg lässt sich heute noch genau nachvollziehen. Den gesamten Text an dieser Stelle abzudrucken, würden jedoch den Rahmen sprengen. Im Stadtarchiv (und auf der Homepage des Heimatvereins) ist der Text komplett hinterlegt:
… Zum Schluß der gesamten Schnad wurde die Jagd von ERNST BOICKMANN totgeblasen. Die Jäger erhielten ihren Lohn und ein Trinkgeld. Darauf nahmen sie das Valete und kehrten nach Haus zum Neuen Graben zurück. Wir aber eilten nach Sendenhorst zurück. Mehrfach wiederholte die Bürgerschaft das Vivat mit einem Glas Bier und mit dem klingenden Horn wurde der Schluß gemacht.
Da der Weg schriftlich fixiert ist, könnte man diesen auch mal in Karte einzeichnen.
20. Jahrhundert
In neuerer Zeit kam und kommt es zur Wiederbelebung der Schnadegänge, die heute mehr ein gesellschaftliches Event zwischen Nachbargemeinden und meistens der Heimatvereine sind. Hier eine Liste aus den 1970ern aus dem Archiv:
1975 Ahlen-Drensteinfurt-Sendenhorst
1976 Münster-Everswinkel-Wolbeck-Sendenhorst
1977 Hoetmar-Freckenhorst-Warendorf-Sendenhorst
1978 Enniger-Vorhelm-Ahlen-Sendenhorst
In den 1980ern wurden in Sendenhorst noch weitere Schnadegänge durchgeführt. Leider sind dazu kaum Fakten noch bekannt. Der ein oder Leser, der sich angesprochen fühlt und vielleicht dabei war, wird gebeten, sich zu melden. Es wäre sehr wünschenswert, die Bäume, die zu den Anlässen gepflanzt wurden „Wieder“ zu entdecken! Das digitale Archiv des Heimatvereins freut sich!
Drensteinfurt, 28.05.2016
Der Schnadegang Drensteinfurt. Am 28.05. hatte der Heimatverein Drensteinfurt zum Schnadegang mit anschließendem Hoffest auf Hof Altenau in der Bauerschaft Natorp geladen. Bei bestem Frühlingswetter traten ca. 200 Personen den Marsch zum neuen Grenzstein an. Ca. 12 Heimatvereine waren vertreten, u.a. natürlich auch Albersloh und Sendenhorst. Dazu kam noch der stellvertene Sendenhorster Bürgermeister M. Mühlenhöver, so dass die Sendenhorster trotz St. Martinus-Schützenfest eine ca. 8 Frau/Mann starke Truppe zusammen bekommen hatten. Beim 2,5 km langen Marsch vom Hof zum Grenzstein und zurück an der Straße nach Albersloh wurden zahlreiche Gespräche geführt werden und neue Kontakte konnten geknüpft werden.
Tönnishäuschen, Freitag, 03.06.2016
Zum Schnadegang eine Woche später hatten der Heimatförderkreis Ahlen und der Sauerländische Gebrigsverein Ahlen (So die Bezeichnung der beiden Ahlener Heimatvereine) nach Tönnishäuschen zum Schnadegang geladen. Ebenfalls bei schönem Sommer-Wetter machte sich die ca. 100 Personen umfassende Gruppe vom ehemaligen Landgasthof auf, um an der Angel, unmittelbar an der Grenze zu Enniger eine Stele einzuweihen. Dieses Mal wurde die stellvertretene Ahlener Bürgermeisterin Frau stellvertretende Bürgermeisterin Rita Pöppinghaus-Voss symbolisch „gepoahläst“ = leicht angehoben. Nach einer Stärkung mit Korn und Mettentchen ging es von der Angel zurück zum Landgasthof, der eigens für diesen Anlass wieder geöffnet war. Hier gab es abschließend ein Jagdhornblasen und einen Volkstanz der Walstedder Volkstanzgruppe, bevor es zu gemütlichen Teil überging. Bei gemütlichen Beisammensein unter den Linden des Gasthofes konnten die neuen Freundschaften vertieft werde. So haben die Sendenhorster mit den Drensteinfurter Heimatfreunden einen Schnadegang in Richtung Drensteinfurt für das nächste Jahr ins Visier genommen…